Neuerscheinung Dezember 2024
Gott im Quartier
Sozialraumorientierung und Spiritualität
des Sozialwissenschaftlichen Instituts der
Evangelischen Kirche Deutschlands
vom Diakonie-wissenschaftlichen Institut,
dem Senior Consulting Service Diakonie und
der Lechler Stiftung Stuttgart
Kirchengemeinden engagieren und vernetzen sich in den sozialen Räumen ihrer Nachbarschaft – allein oder gemeinsam mit Diakonie und Caritas. Seit den 70ziger Jahren haben sie für die Teilhabe am kommunalen Gemeinwesen konzeptionell und praktisch durchdachte Modelle entworfen, umgesetzt und etabliert, stellen Johannes Eurich, Georg Lämmlin und Gerhard Wegner anerkennend fest.
Religiöse Ressourcen des Sozialraums
Ihnen ist es gelungen, dadurch ihr soziales, gesellschaftliches und politisches Profil zu schärfen, Gewicht und Einfluss zu gewinnen – und das nicht nur in eigenen, sondern auch in fremden Augen. Doch das genuin eigene religiöse Profil geriet an Rand der Aktivität, verblieb im kirchlichen Restraum der Gottesdienste und Andachten, dort wo er für Stadt und Land nicht bedeutend ist, geben die drei Herausgeber zu Bedenken
An dieser Stelle setzen die Texte dieses Bandes an und versuchen – in aller Vielfalt, ja Widersprüchlichkeit, und nicht in allen Texten gleichermaßen – in der Orientierung auf den und im Stadtteil transzendentale Bezüge deutlich zu machen. In Wolfgang Hintes fünf methodischen Prinzipien der Sozialraumorientierung spielt die Konzentration auf die konkret vorhandenen Ressourcen eine zentrale Rolle. Die Beiträge lassen sich in unterschiedlicher Weise als Suchbewegungen einer Antwort auf die Frage lesen, welche Rolle religiöse Ressourcen dabei spielen (können).
Herausgeber und Autoren führen im Sammelband eine Debatte fort, die sie auf der Tagung „Sozialraumorientierung und Spiritualität: Eine starke Verbindung“? im Stuttgarter Hospitalhof (September 2023) begonnen hatten.
Es liegt ... auf der Hand, dass sich kirchliche Praxis zwar im sozialen Engagement verwirklichen kann, aber darauf nicht reduziert ist. Vielmehr geht es um die Breite vieler vom christlichen Glauben her motivierter Kommunikationsformen, die in den letzten Jahren gerne mittels der Formel von der „Kommunikation des Evangeliums“ zusammen gedacht werden ... Das bedeutet z.B., dass sich religiöse Kommunikation in einer Kirchengemeinde und ihr soziales Engagement im Stadtteil durchdringen und so gegenseitig erneuern ...
... Verfolgt man dieses Interesse weiter, dann stellen sich eine ganze Reihe von Fragen ein. Wie lässt sich ein Gemeinwesen überhaupt spirituell, religiös, christlich, ethisch deuten, rahmen, öffnen? ... Wie sind religiöse Akteur:innen in das sozialräumliche Gefüge eingebettet und welche Interessen verfolgen sie?
... Gibt es einen Diskurs über eine Sozialethik der Sozialraumgestaltung, d.h. mehr oder minder öffentliche Bewertungen der Haltungen von Akteur:innen und die Herausarbeitung von entsprechenden Leitbildern (z.B. eines inklusiven oder altersgerechtenStadtteils)?
Der Sozialraum als spiritueller Erfahrungsraum
Ulrich Beuttler
Gott und der Raum – eine systematisch-theologische Neukonzeption aus phänomenologischen Raumbegriffen
Die Aufwertung des religiösen Raumes und der damit einhergehenden „Lokalisierung“ von Erscheinungen und Anwesenheit Gottes an solchen Orten intensiver religiöser Erfahrung, stellt eine systematisch-theologische Grundfrage, nämlich, welche Rolle der Ort und der Raum für das Verständnis der Präsenz Gottes spielen?
... Wir brauchen keinen homogenen, isotropen, geometrischen Raum, sondern einen nicht homogenen, nicht isotropen, gegliederten Raum, der Anwesenheit und Nähe ebenso wie Ferne und Absenz zu denken ermöglicht, der weder Gott verräumlicht, noch den Raum vergöttlicht ...
... Theologisch gesagt: Was eine Kirche ist, nämlich Ort des Gottesdienstes und der Gottesbegegnung, bringt der Raum nach innen und außen durch seine Präsenz zur Geltung: Ort der Transzendenz Gottes und zugleich Raum der Nähe und Gemeinschaft von Gott und Menschen. Es ist ein Raum, den es gar nicht „gibt“, er ist komplex ineinander geschichteter Ort der Gegenwart Gottes in der Welt, also eine Heterotopie, wie Foucault sagt, ein Gegenort, ein Andersort, der mehrfache Raum der Gottespräsenz, der je da und je anders da ist.
Andreas Lob-Hüdepohl
Spuren Gottes? Sozialräume und ihre „Zeichen der Zeit“
Sozialräume gelten längst als Orte der Gottesbewährung – als Orte also, an denen sich das Vertrauen von Christ:innen in die heilsam-befreiende Gegenwart des biblischen Gottes in ihrem diakonischen Handeln praktisch bewährt, egal ob als Einzelne oder als kirchliche Gemeinschaft. Die Zukunft der Kirchen, so hatte der Jesuitenpater und Widerstandskämpfer Alfred Delp noch kurz vor seiner Hinrichtung in Berlin-Plötzensee apodiktisch konstatiert, hinge neben einer konsequenten Ökumene vor allem von ihrer konsequenten Rückkehr zum Dienst am Menschen, also zur Diakonie, ab ...
... Im Protestantismus etwa wendet sich die Programmatik einer Öffentlichen Theologie gegen eine individualistisch-pietistische Verengung christlichen Glaubens, indem sie die Relevanz des Evangeliums für die humane Gestaltung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zur Geltung bringt.
... Wo sich in geschichtlich-gesellschaftlichen Bezügen solidarische Praxis den Nöten aller Art zu widersetzen beginnt und auf ein humanes Leben für alle ausgreift, dort offenbaren sich Spuren der Gegenwart Gottes in diesen „Zeichen der Zeit“.
Gerhard Wegner
Kraftfelder des Geistes, Suchbewegungen nach einer Spiritualität der Stadtteilgestaltung
Für viele Zeitgenoss:innen mag die Frage nach der Möglichkeit einer spirituellen – religiösen, sakralen, theologischen – Erfahrbarkeit eines gewöhnlichen Stadtteils einer modernen, westlichen Großstadt von vornherein seltsam erscheinen. Zu sehr ist ihnen die säkulare Qualität der modernen Stadt geradezu ins Herz geschrieben und prägt auch sonst ihren Lebensstil ...
... Im Vordergrund steht die ethisch-ästhetische Qualität des Sozialraums, auf die ggf. das sakrale Bauprojekt aufsetzt. Gott wohnt im Stadtteil – und nur sonntags in seinem Haus ... Im Fokus stehen soziale, sinnliche Räume – ob virtuell, real oder hybrid –, in denen und mit denen die Menschen etwas machen und in denen etwas mit ihnen geschieht ...
... Diese Raumerfahrungen sind gut mit der Metapher eines „Kraftfeldes“ zu beschreiben. Durchaus ähnlich wie ein solches in der Physik analysiert wird – und nicht nur symbolisch, sondern sinnlich-real ...
... Nun liegt es auf der Hand, dass eine Deutung der sozialräumlichen Situationen im Hinblick auf die Gegenwart oder die Abwesenheit des Geistes Gottes allein noch keine politische Gestaltungskraft entwickeln kann. Sie muss im Gemeinwesen von der Kirche kommuniziert und d.h. vor allem öffentlich inszeniert werden.
Claudia Schulz
Vielfältige Optionen gegen die Leere, Interprofessionelle Raumerschließung als spirituelle Entwicklung kirchlicher Regionen
Das Evangelium ist abhängig davon, dass jemand es für sich als bedeutsam erlebt und mit anderen kommuniziert. Der heilige Raum wird erst heilig durch die Menschen, die eine Transzendenzerfahrung mit diesem Raum verknüpfen ...
... Dafür braucht es aber nicht unbedingt einen regelmäßigen Gottesdienst in der Dorfkirche, es genügen wenige Gottesdienste, die dann im Dorfgeschehen ihren Platz behalten, etwa rund um Erntedank. Hier lassen sich lokale Bräuche und ein Gottesdienst in der Dorfkirche zusammenführen, es entstehen Synergien, mit denen letztlich „wieder mehr Evangelium zu den Leuten kommt ...“
Sabrina Müller
Connected: Das Smartphone als Portal für Alltagsspiritualität
Das Smartphone kann nicht nur für die Lebensorganisation, sondern auch für die eigene Alltagsspiritualität und den Transzendenzbezug genutzt werden. Es eröffnet Räume für religiöses Erleben ...
... So gibt es unzählige Mindfulness-, Spiritualitäts- und Meditationsapps, Apps für die tägliche Besinnung, für die Lektüre Heiliger Schriften aus verschiedenen Religionen, Apps für Hauskreise, für Kirchgemeinden ...
... Ein ... noch viel zu wenig beachtetes Problem betrifft die Exklusion und Marginalisierung bestimmter Gruppen: Personen ohne Zugang zu modernen Technologien oder mit begrenzten digitalen Fähigkeiten sind von der Nutzung dieser Plattformen ausgeschlossen ...
Die religiöse Topografie des Sozialraums
Martina Bär
Zwischen Selbstfindung und Dialog, Sakralbauten im spätmodernen Sozialraum
Wenn ich ... das Verhältnis von Architektur, Sakralbauten im Sozialraum und Spiritualität beleuchte, werde ich zunächst mit grundlegenden Überlegungen beginnen und diese sodann mit drei architektonischen Beispielen konkretisieren ...
... Dabei werde ich den Chicagoer Sakralbau des Bauhaus-Direktors Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969), die Ökumenische Kirche Maria-Magdalena in Freiburg im Breisgau von Susanne Gross und den sich im Bau befindenden multireligiösen Sakralbau House of One“ in Berlin des Berliner Architekturbüros Kuehn Malvezzi vorstellen und vergleichen ...
... Das House of One will ... ein Sakralbau sein, der das interreligiöse Moment und den Dialog mit der säkularen Stadtbevölkerung sucht und eine wohlüberlegte theologische Intention besitzt ... Eine neue Baugattung insofern, als dass dieser Sakralbau weder eine Kirche noch eine Moschee noch eine Synagoge sein wird, sondern ein Sakralgebäude des 21. Jahrhunderts, wie ein Mitglied der Planungsgruppe formulierte.
Bert Daelemans
Sakrale Raumerfahrung, Kirchengebäude als mystagogischer Raum
Mystagogie, definiert als Einführung in das Geheimnis, ist viel mehr als ein vorübergehender, katechetischer Initiationsprozess, der abgelegt werden kann, sobald man „erwachsen“ ist. Es ist vielmehr ein lebenslanger, fortlaufender und nie endender Prozess, einfach weil ein Mysterium per definitionem nie ein für alle Mal „eingefangen“ oder „bewältigt“ wird ...
... Die Frage ist nur, wie ein Kirchenbau diesen Prozess der Entfaltung eines Geheimnisses begleiten kann, das zunächst verborgen und anonym ist, aber im besten Fall nach und nach seinen Namen und sein Gesicht zeigt. Oder auch nicht ...
... Je nach dem Grad des Glaubens und des Engagements des Besuchers konnten wir vier Schwingungszustände in dem mystagogischen Prozess skizzieren, der sich allmählich und organisch entfaltet und die Besucherin immer tiefer in das Geheimnis einführt: den synästhetischen, kerygmatischen, ekklesiologischen und eschatologischen Raum.
Anna Körs
Religiöse Gemeinden als (inter-)religiöse und gesellschaftliche Akteure im urbanen Sozialraum
Die Verbindungen zwischen Religion und Stadt beschäftigen verschiedene Disziplinen, blieben in der Religionssoziologie wie auch in der Stadtsoziologie jedoch lange Zeit weitgehend vernachlässigt ...
... Inzwischen hat sich empirisch gezeigt, dass moderne Gesellschaften von der Gleichzeitigkeit zweier Pluralisierungsprozesse geprägt sind: und zwar von der Koexistenz von sowohl verschiedenen religiösen Weltanschauungen als auch von säkularen und religiösen Diskursen und Institutionen. Dies gilt insbesondere für Städte, in denen beide Prozesse – religiöse Pluralisierung und Säkularisierung – typischerweise noch verstärkt stattfinden ...
... Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse einer repräsentativen Gemeindestudie aus Hamburg vorgestellt ... Je mehr die Gemeinden über gesellschaftliche Kontakte verfügen, desto eher sind sie auch an interreligiösen Kontakten und Netzwerken beteiligt. Die Gemeinden sind somit in ihrem interreligiösen Handeln durch die eigene Position im religiösen Feld und ihre gesellschaftliche Integration beeinflusst, die religiöse Einstellungen überlagern können.
Mittendrin im Sozialraum Kirche und Diakonie
SENIOR CONSULTING SERVICE DIAKONIE BIETET AN: BERATUNG, ENTWICKLUNG UND BEGLEITUNG VON PROJEKTEN