Un-Ruhestand

Potenziale der Älteren

 

Die Belegschaften in Deutschland altern - gerade da, wo viele Beamte und Festangestellte arbeiten. Im Öffentlichen Dienst, aber auch in Kirche und Diakonie. Bei Pflegekräften, Erzieherinnen, Sozialarbeitern.

Mit den Babyboomern, die ab 2020 in Rente gehen, scheidet ein Drittel der Mitarbeitenden aus. Selbst wenn es gelingt, junge Zuwanderer in soziale Berufe zu integrieren, liegt darin eine große Herausforderung für Pflegeheime und Tageseinrichtungen.

Babyboomer gehen in Rente

Es ist höchste Zeit, sich der Frage zu stellen, wie es gelingen kann, ältere Mitarbeitende gesund und motiviert im Arbeitsprozess zu halten.

Tatsächlich fühlen sich 73 Prozent der Befragten ab 60 Jahren jünger, als sie es vom chronologischen Alter her sind - und zwar im Durchschnitt 5,5 Jahre. Sie sind gesünder, kompetenter und besser vernetzt als frühere Altersgenerationen.

Und sie haben viel einzubringen: Urteilsvermögen und Verantwortungsbewusstsein nehmen mit dem Alter zu – genauso wie konzeptionelles Denken, Kooperations- und Teamfähigkeit. Ältere wollen Wissen und Erfahrung teilen, Mitarbeitende motivieren und Modellfunktion für andere übernehmen. Sie sind ideale Mentoren und Coaches.

Powerager - bitte nicht abschreiben!

Und manche starten auch mit 60 noch einmal neu durch oder machen sich selbstständig.

Zugleich gelingt immer weniger Erwerbstätigen ein nahtloser Übergang in die Rente. Übergänge aus Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit sind häufiger. Und die Fehltage durch stressbedingte Krankheiten nehmen im Alter zu.

Der Mythos, Ältere seien weniger leistungsstark, führt dazu, dass sie weniger Wertschätzung erfahren, weniger Fortbildungsangebote bekommen - und weniger sanktioniert werden, wenn sie tatsächlich geringere Leistung erbringen. Sie werden abgeschrieben und halten nur noch durch.

Studien zeigen: Wenn Unternehmen Älteren keine Innovation mehr zutrauen, trauen die sich das auch selbst nicht zu.

Kirche und Diakonie sollten Chancen bieten

Es kommt darauf an, diese Haltung zu drehen. Dabei haben Kirche und Diakonie als große Arbeitgeberinnen viele Möglichkeiten, ihren Mitarbeitenden neue Chancen zu eröffnen: So helfen Praktika in anderen Betrieben oder Unternehmensteilen, neue Fähigkeiten bei sich selbst zu entdecken.

Die ältere Jugendmitarbeiterin kann in der Freiwilligenagentur mitarbeiten, der Verwaltungsmitarbeiter im Management der Flüchtlingsarbeit, die Erzieherin in der Schulsozialarbeit. Solche Seitenwechsel können in einer internen Jobbörse gebündelt und über Kirchenkreise oder Unternehmensverbände angeboten werden.

„Wir sind älter als 50 - na und?“

Unter diesem Slogan wurde bei der Sozialholding Mönchengladbach als Trägerin vieler Pflegeeinrichtungen ein Ausbildungsprogramm für Ältere aufgelegt. „Wir wollen Menschen so motivieren, dass sie ihre Stärken einsetzen können.“ sagt der Geschäftsführer Wallraffen-Dreisow. Ältere Mitarbeitende erhalten Benefits wie einen psychologischen Beratungstermin innerhalb von zwei Wochen.

Anderswo gibt es Beratung und Unterstützung bei der Pflege von Familienangehörigen. Und manche Träger bauen Wohnungen für Mitarbeitende. Kurz: das kirchlich-diakonische Angebotsnetz von Beratungsstellen bis zu Wohnungsbaugesellschaften hat viel Infrastruktur, um die Erwerbsfähigkeit von Älteren zu erhalten.

Altersstrukturanalyse – bitte zur Pflicht machen!

Es wird Zeit, diese Maßnahmen zu bündeln und eine Altersstrukturanalyse zur Pflicht zu machen. Wir reden zurzeit viel von Diversity: noch aber wird die Vielfalt der Generationen in der Sozialen Arbeit nicht so wichtig genommen.

 

Garbsen-Osterwald im Juni 2019

Cornelia Coenen-Marx
Pastorin und Autorin, Oberkirchenrätin a. D.
Mitglied des SCSD
 
Geschäftsführerin „Seele und Sorge“