Gemeindeberatung

Systemisch zum Ziel

 

Andreas Hänßgen arbeitete als Gemeindepastor und für die Diakonie und ist darüber hinaus seit langem in der Gesellschaft für Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung (GfGO) in der Nordkirche engagiert. Er leitete den Fachbereich Beratung und Seelsorge im Diakonischen Werk Hamburg. Seine Beratungserfahrungen beziehen sich auf kirchliche Gremien, Einrichtungen und Arbeitsbereiche, auf die Beratung von Einzelnen, Teams und Einrichtungen.

Warum wünschen Kirchengemeinden eine Unterstützung von Ihnen?

Sie fragen an, wenn sie Begleitung oder Unterstützung bei kommunikativen Prozessen aller Art benötigen:

sei es ein Konflikt im Kirchengemeinderat (KGR; das ist das Leitungsgremium der Kirchengemeinde) oder im Team, sei es die Notwendigkeit, ein Personalentwicklungskonzept zu erarbeiten, oder Überlegungen zur Gebäudenutzung. Überlegungen zu Kooperationen bis hin zu Fusionen spielen eine Rolle, aber auch die Moderation von einzelnen Veranstaltungen.

Ein großes Spektrum an unterschiedlichen Anfragen.

Und es gibt natürlich auch Aufträge von diakonischen und sozialen Einrichtungen: Teamsupervision, Coaching, Personalentwicklung, Veränderungsmanagement.

Wem stehen die Berater*innen zur Seite: der Gemeinde, dem Gemeindekirchenrat, dem Vorstand, den PfarrerInnen?

Meist kommen die Anfragen von von den jeweiligen Leitungsverantwortlichen:  Kirchgemeinderäten, Pastor*innen, Einrichtungsleitungen. Eigentlich ist in allen Fällen die Leitungsebene involviert, die ja letztlich über die Ressourcen und die Ziele entscheidet.

Es wird aber auch Beratung für Subsysteme angefragt: eine Mitarbeitenden-Runde, eine KiTa, ein Team.

Wie kurz, wie lang dauert ein Projekt, ein Prozess?

Die Dauer der einzelnen Prozesse ist sehr unterschiedlich. Von der mehrjährigen Begleitung einer Gemeinde bei der Erarbeitung eines Gemeindekonzepts, das auch Fragen des Personals, der Gebäude,  der Struktur und des inhaltlichen Profils umfasst, bis zu der Moderation eines Abends bei einer Konfliktsituation zwischen KGR und Mitarbeitenden habe ich alles bereits erlebt.

Wer ist daran beteiligt?

Häufig werden Settings gesucht und ermöglicht, welche die Mitwirkung der Ehrenamtlichen ermöglichen: Klausurtage, Abendsitzungen, Wochenendtagungen.

Je nachdem, um was es geht, sind das Pastor*innen-Team, die hauptamtlich Mitarbeitenden, Ehrenamtliche aus dem KGR und anderen Arbeitsfeldern der Kirchengemeinde oder der Einrichtung an den Prozessen beteiligt.

Wissen die Auftraggeber vorher, worauf sie sich einlassen – inhaltlich wie zeitlich?

In der Regel wird zu Beginn einer Beratung der Rahmen vereinbart: inhaltlich, zeitlich, finanziell, Beteiligte.

Wenn unterwegs neue Themen auftauchen oder andere sich erledigt haben, wird die Vereinbarung natürlich modifiziert.

Welche Themen sind es, die eine Lösung suchen?

In den letzten Jahren sind es sehr häufig Fragen nach Kooperationen mit anderen Kirchengemeinden. Ausgelöst durch Anpassungsprozesse, die mit der sich verändernden Situation der Kirche einhergehen, sind die Ressourcen knapper geworden: es gibt z.T. weniger Geld, weniger Stellen, auch weniger selbstverständliche Anerkennung innerhalb und außerhalb der Gemeinden.

Daraus ergeben sich Fragen: Wie können wir trotzdem unsere Arbeit so aufstellen, dass unsere Prioritäten gewahrt bleiben, dass unser Profil deutlich wird, dass auch eine gewisse – flächendeckende – Versorgung gewährleistet bleibt? Wie gehen wir mit Zielkonflikten um zwischen dem Bewahren des Bewährten und dem notwendigen Aufbruch zu neuen Formen?

Reicht es aus, sich anders organisieren, aufstellen zu wollen? Ist ein konzeptioneller (pastoraler) Vorlauf zu klären?

Die organisatorische Veränderung steht manchmal ja schon am Anfang, manchmal aber auch erst am Ende; wenn z.B. eine Stelle wegfällt, hat die Veränderung ja gewissermaßen schon stattgefunden. Dann geht es darum, mit dieser Veränderung so umzugehen, dass das Konzept überprüft und an die Ressourcen angepasst wird.

Wenn es absehbar ist, dass z.B. eine Pfarrstelle nicht wieder besetzt werden kann, muss überlegt werden, wie die bisher von der Person wahrgenommen Aufgaben – und welche – von anderen übernommen werden können. Und von was man sich vielleicht verabschieden muss.

Ist ein Konflikt der Auslöser des Prozesses, werden unter Umständen auch organisatorische Veränderungen in den Blick genommen werden müssen.

Idealerweise werden konzeptionelle Überlegungen am Anfang des Prozesses mit den Beteiligten zusammen angestellt. Dazu kann es auch sinnvoll sein, dass Lenkungsgruppen oder Ähnliches gebildet werden, die sowohl vorarbeiten als auch steuernd den Prozess vorantreiben.

Blicken die Kirchengemeinden nach innen? Oder auch 360 Grad rund um den Kirchturm herum?

Ich halte beides für nötig: nach innen zu schauen und sich der eigenen Stärken und Ziele vergewissern,  aber auch das Umfeld, den Stadtteil, das Gemeinwesen zu beachten.

In einem Sozialraum, der gut situierte Bürgerlichkeit atmet, wird sich die Kirchengemeinde anders aufstellen und profilieren können, als in einem sozialen Brennpunkt. Manchmal entdecken Kirchengemeinden auch neue Aufgaben und Ressourcen, wenn sie da genau hinschauen.

Und gelegentlich muss dann auch das Kommunikationskonzept überprüft und verändert werden: erreichen wir überhaupt die, die hier leben, deren Themen und Bedürfnisse? Häufig entsteht im Laufe einer Beratung das Interesse, sich diesen Fragen intensiver zuzuwenden.

Was bedeutet dabei Diakonie: eigenes Tun im Ehrenamt oder Kollekten für soziale Dienste?

Viele Kirchengemeinden sind ganz selbstverständlich diakonisch aktiv, betreiben zum Teil noch eigene Einrichtungen wie Kindertagesstätten, offene Jugendarbeit oder Senioreneinrichtungen.

Und aus den Gemeinden heraus kommen viele der Freiwilligen, die sich diakonisch-sozial engagieren: in der ehrenamtlichen Suchthilfe, der Telefon- oder Krankenhausseelsorge, aber auch den Tafeln und in der Wohnungslosenhilfe.

Jedenfalls gilt das für Hamburg und andere Städte in der Nordkirche. In den ländlichen Gemeinden ist das aber letzten Endes nicht anders.

Gibt es Kooperationen im Sozialraum?

Die Kooperationen sind ja sehr vielfältig. Das reicht von Runden Tischen über Stadtteilkonferenzen, Netzwerke und regelmäßige gegenseitige Besuche, über die Bereitstellung von Räumen bis hin zum – allerdings eher seltenen – gemeinsamen Betrieb von Einrichtungen.

Ich persönlich vermute, dass sich in den nächsten Jahren hier noch Einiges tun könnte. Hier ist sicher Luft nach oben.

Wie schauen Kirche und Diakonie, Sozialraum und Rathaus aufeinander?

Es ist gut, wenn man voneinander weiß, wie man gesehen wird! In gewissem Umfang ist das auch bereits so, dass Pastor*in und Bürgermeister*in wissen, was sie voneinander zu halten haben. – im Positiven wie im Negativen.

In ländlichen Gemeinden, wo Kirchen- und Kommunal-Gemeinde noch größere Überlappungen haben, kennen sich die Beteiligten persönlich. Anders ist das in den größeren Städten, in denen es mehrere Kirchengemeinden gibt. Da tut sich die einzelne Kirchengemeinde u.U. schwerer darin, verläßliche Partner in Verwaltung und Politik zu finden. Im Stadtteil sollte das aber möglich sein.

Eine ganz anderes Problem ist in diesem Zusammenhang, was die parochiale Ebene – also die Ortsgemeinde – für welche Zielgruppen jeweils bedeutet. Wohnen und Arbeiten fallen ja für viele auseinander. Es gibt eine z.T. hohe Fluktuation bei der Wohnbevölkerung.

Mit dem nur noch temporären verbindlichen Engagement ändern sich auch die Strukturen, die für ehrenamtliches/freiwilliges Engagement nötig sind.

Was bringen Berater*innen mit?

In der Nordkirche gibt es eine geregelte mehrjährige Ausbildung für Gemeindeberater*innen, die mit einem Anerkennungsverfahren abschließt, an dem auch die Landeskirche beteiligt ist.

Die anerkannten Berater*innen werden in Listen aufgenommen, die von der Arbeitsstelle Institutionsberatung in der Nordkirche geführt werden.

Darüber hinaus haben sie unterschiedliche berufliche und Erfahrungs-Hintergründe: es sind Pastor*innen, (kirchliche) Mitarbeitende wie Sozialpädagog*innen, Diakon*innen, Psycholog*innen und Ähnliches. Sie arbeiten in Kirchengemeinden, Einrichtungen, freiberuflich, Ehrenamtlich in verschiedenen Arbeitsfeldern.

Haben Sie ein Konzept oder bestimmen die Auftraggeber den Weg zum Ziel?

Letzten Endes bestimmt immer der Auftraggeber, welche zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden – und damit wird natürlich auch über mögliche Wege zum Ziel entschieden.

Bei der Beratung von KGRen ist zu berücksichtigen, dass da mehrheitlich Ehrenamtliche arbeiten. Das bestimmt in hohem Maße den möglichen Zeiteinsatz.

Lassen sich Ziele, Meilensteine oder Aufgaben leicht bestimmen – gerade in Gruppen?

Die Entscheidung für Ziele ist oft eine Herausforderung. Schnell kann man sich auf Globalziele wie „Verkündigung des Evangeliums“, „einladende Kirche“ oder Ähnliches  verständigen.

Für konkrete Projekte ist es aber nötig, konkrete, realistische Ziele in den Blick zu nehmen, damit Abschnitte, Zwischenergebnisse, Aufgabenverteilung definiert werden können. Dann ist auch feststellbar, ob die Ziele wirklich erreicht wurden.

In Kirchengemeinden ist das oft eine Herangehensweise, in der sie nicht besonders geübt sind.

Es geschieht z.B. auch immer wieder, dass vereinbarte Aufgaben nicht umgesetzt werden: das kann dann in einem Beratungsprozess thematisiert und das zugrunde liegende Thema bearbeitet werden. Das Problem ist manchmal Überlastung oder ein nicht ausgesprochener Konflikt. Oder es geht um mangelnde Wertschätzung.

Das kann man erkennen, ansprechen und so die Arbeitsfähigkeit und die Beziehungen wieder in Fluss bringen.

Sie beraten „systemisch“ – was verstehen Sie darunter?

Ein wichtiger Aspekt meines systemischen Ansatzes ist es, die Vielfältigkeit der Beziehungen, Interessen, Wünsche, Ziele, Hoffnungen und Ängste in dem zu beratenden System anzuerkennen.

Als Berater tauche ich zeitweilig in dieses System ein und erfahre so das spezifische miteinander Verflochtensein z.B. einer Kirchengemeinde, einer Mitarbeitenden-Runde, einer Einrichtung oder eines Teams. Aber da ich das nur temporär tue, behalte ich gleichzeitig auch den Blick von außen und kann vielleicht sehen, „was gespielt wird“.

Kommen in einem solchen System Veränderungsprozesse in Gang, sind immer alle betroffen und nicht nur einzelne Personen. Es ist wie bei einem Mobile, bei dem ja auch alle Teile in Bewegung geraten, wenn eines angestoßen wird. Es gilt diese Zusammenhänge im Blick zu behalten und den Beteiligten die Kommunikation darüber zu ermöglichen.

Wie gehen Sie ein Projekt an, welche Phasen durchläuft es?

Als erstes kommt immer die Auftragsklärung: was soll hinterher sein, wenn das Projekt erfolgreich war? Wobei kann ich behilflich sein ? Welche Bedingungen müssen aus meiner Sicht erfüllt sein, damit ich erfolgreich arbeiten kann?

Dann bin ich auch schon bei der Überlegung, was für eine Arbeitsweise und welchen Zeitrahmen ich anbieten kann.

Wenn das geklärt ist und wir gemeinsam erforscht haben, was wir wissen (müssen), damit wir ein gutes Ergebnis erzielen, wird es in verschiedenen Treffen bzw. Workshops darum gehen, Entscheidungen vorzubereiten, zu treffen und umzusetzen. Dazu ist manchmal auch externe Expertise (z.B. in Rechts- oder Baufragen) nötig und sinnvoll.

Ein wichtiger Beitrag von mir als Berater besteht darin, dass ich als jemand, der nicht dazu gehört und evtl. verwickelt ist, gerade bei Kommunikationsstörungen von außen gucken und die Weiterentwicklung von guter Kommunikation unterstützen kann.

Und natürlich bringe ich auch ein gewisses methodisches Handwerkszeug zur Gestaltung von solchen Prozessen mit.

Am Abschluss eines Prozesses – aber auch zwischendurch – steht nach Möglichkeit eine Auswertung: was ist gut gelaufen, wo hat es gehakt, wie zufrieden sind wir mit den Ergebnissen? Wie geht es weiter?

Sind Sie als Experte gefragt, der es besser wissen müsste, oder als einer, der den Prozess der Anderen begleitet?

Fast alle Berater*innen bringen natürlich aus ihrem jeweiligen Arbeitsfeld eigene fachliche Expertise mit. Bei Bedarf bringen wir das auch ein – und machen deutlich, dass wir dann die Prozessberatungsrolle temporär verlassen.

Die Aufgabe ist in meinen Augen jedoch vorrangig die Begleitung, Initiierung und Ermöglichung des Prozesses des beratenen Systems und nicht das Besser-Wissen.

Letzteres stimmt ja auch nicht: die eigene Siuation kennt das System selbst am Besten! Es könnte zudem auch zu einem Machtkampf darüber führen, wer es nun wirklich „am besten weiß“, wenn der Berater ausschließlich als Experte auftritt.

Was der Auftraggeber mit der Expertise macht, ist dann wieder seine Sache.

Misst Gemeindeberatung ihren Erfolg – mit kurzem oder langem Blick zurück? Wird – auch nach Jahren – noch einmal nachgefragt?

Der Erfolg von Gemeindeberatung wird m.W. eher aus den individuellen Evidenzerfahrungen der Klient*innen und der Berater*innen abgeleitet. Und typischerweise werden die Beratungsprozesse bei der Auswertung am Ende meist positiv bewertet.

Systematische Evaluationen mit zeitlichem Abstand für eine größere Menge von Beratungen sind mir im Moment nicht bekannt, dafür gibt es wohl einfach nicht genügend Ressourcen.

Ich persönlich freue mich, wenn ich – auch nach einiger Zeit – dann doch wieder etwas von den Klienten höre und entweder eine positive Rückmeldung kommt oder auch eine neue Beratungsanfrage.

Und noch ein persönliches Resümee: Was haben Sie aus Projekten, was von Kirchengemeinden gelernt?

Ich bin immer wieder begeistert von dem Engagement, der Offenheit und dem Willen, Positives für den Stadtteil, den Ort und die Kirchengemeinde zu bewirken.

Und ich habe gelernt, dass Veränderungsprozesse zum Teil einen langen Atem und Geduld, aber auch eine gewisse Energie brauchen, damit Veränderungen nachhaltig werden: Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, sich auch wirklich einzusetzen und gerade zu machen für das, was man für richtig und wichtig hält, gepaart mit der Fähigkeit und dem Willen zu verstehen, was andere sagen und wollen.

 

Gesellschaft für Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung (GfGO) in der Nordkirche

Die 20 Berater*innen kennen aus ihrem Berufsleben kirchliches Leben und dessen Organisation von innen, sind erfahren darin, Veränderungsprozesse – systemisch - zu gestalten.

Auch dort, wo Kirchengemeinden fusionieren, Stadtteile und Dörfer sich verändern, die Aktiven weniger und älter werden – mithin dort, wo von Zeit zu Zeit neu zu bestimmen ist, für wen die Glocken welche Botschaft über die Dächer tragen.

Ihr Profil ähnelt sich, auch wenn es sich unterscheidet. Meist sind sie erfahrene SeelsorgerInnen und/oder Sozialpädagogen, Psychologen, Organisations- und Personalentwickler, Mediatoren und Supervisoren.

Die GfGO bietet seit Anfang der 90ziger Jahre jenen, die in der Gemeindeberatung unterwegs sind, eine dreijährige Zusatzausbildung. Die nächste startet 2020. Sie folgt dabei den Standards der EKD (GBOE), kooperiert mit der Arbeitsstelle Institutionsberatung der Nordkirche sowie mit dem Pastoralpsychologischen Institut im Norden.

 

SCSD-Mitglied Ernst Rommeney
Hamburg im Dezember 2019
 
Andreas Hänßgen
Pastor i. R., Gemeindeberater, Supervisor,
Organisationsentwicklung für Einzelne,
Einrichtungen, Teams und Vorstände
Mitglied im SCS-Diakonie
bis 2016 Leitung des Fachbereiches
Beratung und Seelsorge im Diakonischen Werk Hamburg