Bundesteilhabegesetz

Reform verfehlt Ziel

 

Audio von Ingo Kümmel

Ab Januar 2020 tritt die dritte Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BthG) in Kraft. Doch weiterhin herrscht Unsicherheit. Menschen mit hohem Hilfebedarf, die heute in stationären Wohneinrichtungen leben, wissen ebenso wenig wie ihre Angehörigen, was sich letztlich für sie ändern wird. Denn sie hören nur von Übergangsregelungen.

Unsicherheit andauernd

Weder den Anbietern sozialer Dienste noch den finanziellen Leistungsträgern (Rathäusern und Sozialversicherungen) dürfte es gelingen, dass Gesetz zeit- und fachgerecht einzuführen. In der Praxis erweisen sich Paragraphen als widersprüchlich und nur schleppend umsetzbar, gefangen im föderalen Prozess zwischen Bund und Ländern. Es fehlt an Fachkompetenz und an Fachkräften – auf beiden Seiten.

Allseits offenbaren sich Defizite, die unter dem Vorbehalt der Kostenneutralität noch verstärkt werden. Leistungen dürfen also nicht teurer werden. Dass solch ein ambitioniertes Vorhaben sogar noch mit Einsparungen verbunden werden soll, widerspricht gesundem Menschenverstand.

Teilhabe politisch sensibel

Dabei geraten die hehren Ziele  der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen aus dem Blick. Sie will ein Umdenken auf allen gesellschaftlichen Ebenen anstoßen, damit sich der Sozialraum in der Stadt wie auf dem Lande für Inklusion öffnet und allen Bewohner*innen eine selbstverständliche und individuelle Teilhabe sichert.

Stockt oder scheitert dieser Prozess, weil sich Reformen nur unzureichend umsetzen lassen, dann dürfte sich die Kritik am Bundesteilhabegesetz – gerade in medial aufgeheizten Zeiten -  gegen die gute Intention selbst richten. Das politische Ausschlachten hat bereits begonnen. Darum gilt es wachsam zu bleiben.

Pflegeleistungen finanziell nicht gedeckt

Es könnte beispielsweise der Fall eintreten, dass Pflegeleistungen nicht mehr ausreichend finanziert werden. Der Gesetzgeber zielt darauf ab, finanzielle Hilfen an Personen und nicht länger an Institutionen auszurichten. Deswegen werden ab 2010 Fachleistungen der Eingliederungshilfe von denen der Sozialhilfe getrennt.

Galt bisher noch, dass Einrichtungen Tagespauschalen erhalten, so muss demnächst der individuelle Hilfebedarf ermittelt werden. Bei den besonderen Wohnformen (u.a. die Wohngemeinschaften und stationäre Einrichtungen) wird dabei zwischen sozialer Teilhabe und Pflege unterschieden. Diese Schnittstelle von Eingliederungshilfe und Pflege ist wirtschaftlich äußerst sensibel. Weshalb sie auch zum Kritikpunkt der Fachverbände wurde.

Bei hohem Pflegebedarf abgeschoben

Nach § 43a SGB XI dürfen die Aufwendungen der Pflegekassen im Einzelfall je Kalendermonat 266 € nicht übersteigen. Damit bliebe aber den Bewohner*innen weiterhin der individuelle Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung verwehrt. Dies widerspricht eindeutig dem Geist der UN-Konvention.

Schon heute nehmen sowohl stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe (Heime), künftig: besondere Wohnformen nach § 42 a  SGB XII, als auch ambulant betreute Wohngemeinschaften nur noch vereinzelt Menschen mit hohem Hilfebedarf, Pflegegrad 2 und höher, auf. Es wird sogar versucht, pflegebedürftige Bewohner*innen aus ihrer gewohnten Umgebung in Pflegeheime abzuschieben.

Bessere Bezahlung für Fachkräfte der Eingliederungshilfe notwendig

Dabei spielt der Mangel an Fachkräften eine nicht zu unterschätzende Rolle. Leider richten sich die Initiativen der Bundesregierung nur auf die Personalausstattung von Krankenhäusern und Altenpflege. Ähnliche Ambitionen für den Bereich der Eingliederungshilfe sind nicht zu erkennen, obschon sie lange gefordert werden. Wünschenswert wäre eine höhere Bezahlung für alle Betreuungskräfte, nicht allein für Mitarbeiter*innen der Kliniken.

Leistungskontrolle ethisch fragwürdig

Qualitätskontrolle im Gesundheits- und Sozialwesen kann sinnvoll sein. So sollen Leistungsträger überprüfen, wie wirksam Maßnahmen zur sozialen Teilhabe im Einzelfall sind. Doch dafür müssten die Maßstäbe quer durchs Bundesgebiet einheitlich, nachvollziehbar und ethisch zweifelsfrei sein.

Stattdessen fürchten Betroffene eine persönliche Leistungskontrolle, die mehr fordert als fördert. Haben sie nun ihr gesamtes Leben in allen Bereichen vorzuplanen und dann von einer staatlichen Stelle überprüfen zu lassen? Diese Methode hätte wenig mit Barrierefreiheit und selbstbestimmtem Leben zu tun. Sie wäre ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. So wird der Mensch erneut zum Hilfeempfänger.

Und alternative Ideen – wie das persönliche Budget oder Pauschalen – sind ja leider vollkommen in den Hintergrund getreten.

Gesetzesnovelle unumgänglich

Das Bundesteilhabegesetz droht, gute Absichten unter Defiziten zu verschütten. Eine Gesetzesnovelle erscheint unumgänglich.

Hören wir bis dahin den Menschen mit Behinderungen genau zu und bleiben aufmerksam! Nur so kann dieser lange und schwierige Weg zu einer inklusiveren und menschlicheren Gesellschaft gelingen.


SCSD-Mitglied Ernst Rommeney
Norderstedt im Juli 2019
 
 
Ingo Kümmel
Sozialtherapeut, Heimerziehungspfleger
Leiter HeimPersV, SCSD-Mitglied
 
Interim Management
Gruppencoaching, Teambuilding